Oldenburg und der Karpartenhund

Ich bin ein Kassettenkind.

Ich wurde 1975 geboren, mitten in die "Kassettenkinder"- Generation hinein. Bin ich ein typischer Vertreter dieser Generation? Oh ja, genau wie viele andere dieser Generation habe auch ich die für ein Kassettenkind typische Entwicklung durchgemacht. Die Folgen allerdings, die waren vielleicht nicht ganz so typisch... Aber, ich sollte vorne beginnen.
Mein Vater war oft auf Montage. Ich war knapp fünf, als er irgendwann begann, mir "Fünf Freunde" Kassetten mitzubringen. Jede Woche eine.
  Das war etwas ganz besonderes. Ich kannte zwar die Schallplatten von Hui Buh, Karl May und die Disney-Geschichten, aber das war etwas neues, aufregendes. Hier tauchten die gleichen Charaktere immer wieder auf und ein Gefühl der Vertrautheit und Zugehörigkeit machte sich nach kürzester Zeit breit. Nach drei Folgen kannte ich die fünf, wie gute Freunde, die ich täglich traf.
Ich besaß natürlich mit fünf Jahren noch keinen eigenen Kassettenrekorder, durfte aber im Wohnzimmer die heilige Stereoanlage meiner Eltern nutzen. Aber ich brauchte ich nicht lange zu warten, denn die Tatsache, dass Mama ihre Musikplatten und Kassetten während meiner Hörspielzeiten nicht benutzen konnte, beschleunigte den Entschluß "dem Kind doch ein eigenes kleines Gerät" zu kaufen enorm. Von nun an konnte ich meine Kassetten abends zum Einschlafen hören und beliebig auf sie zurück greifen.
Als mein Vater irgendwann einmal keine neue "Fünf Freunde" Folge bekam, griff er in ein weiteres Fach: "Die drei ??? und der Superpapagei", so lautete der Titel. Damit erschloß sich eine weitere Dimension für mich, die sowas von spannend und wahnsinnig aufregend war, dass sie sich in der ersten Zeit weiß Gott zu allem eignete, außer zum Einschlafen. In der Stimme des Justus Jonas fand ich sogar so etwas wie meine erste Schwärmerei und, mal ehrlich: Ich glaube, auch hier war ich bei weitem nicht die Einzige...
Ich liebte meine Kassetten über alles. Kein Urlaub, keine Autofahrt, ja, kein Besuch bei Verwandten, bei denen ich keine Auswahl an meinen Schätzen mitschleppte. Als ich neun Jahre alt war, konnte ich auf eine beachtliche Sammlung zurückschauen. Außer meinen Lieblingsserien hatte sich auch fast lückenlos "Hanni und Nanni", dazu geschlichen. Auch einzelne Folgen der "verwegenen Vier", "Tina und Tini" und "Trixi Belden" waren fester Bestandteil. Als ich dann zum Geburtstag auch noch einen Walkman bekam war mein Glück perfekt.
Es blieb nunmehr nicht aus, dass ich mit Freundinnen zuerst einige Hörspielfolgen aller Serien "nachvertonte". Ein Heidenspaß! Aber noch viel mehr Spaß machte es natürlich, neue Folgen zu erfinden. Eine besonders liebevoll selbst kreierte Folge von Hanni und Nanni war sogar bühnentauglich! Aus dem ürsprünglichen Hörspieltext wurde ein 45 minütiges Bühnenstück, das begeistert von Eltern und Lehrern aufgenommen wurde. Natürlich spielte ich eine Hauptrolle...
Ich konnte inzwischen alle Kassetten auswendig mitsprechen, "mopste" zwischendurch bei Freundinnen mal hier und da eine Folge, die ich noch nicht hatte, oder die mir aus unergründlichen Gründen abhanden gekommen war und langsam machte meine Mama sich ab und zu Gedanken wo meine Leidenschaft noch hinführen möge. Also alles soweit normal.
Normal war dann auch, dass ich so mit 13 Jahren ein wenig das Interesse an meinen Begleitern aus Kindertagen verlor, es war ja schließlich viel cooler, sich mit Freunden zu treffen, Bravo zu lesen und sich mit angesagten TV-Filmen und Serien zu beschäftigen.
Und es waren Zeiten, in denen das elterliche Taschengeld nie reichte und man sich überlegte, wie man es etwas aufbessern konnte. Ich tappte in die sogenannte "Flohmarktfalle".
  Das große Geld lockte und so verkaufte ich, bis auf ein paar allerliebste Folgen, meine bis dahin ach so großen Schätze zu wahrlichen Spottpreisen.
Die Zeit verging und irgendwann, ich muß nun so um die 16 oder 17 gewesen sein, zogen wir um und der Keller, in dem so viele Jahre niemand mehr in die alten Kisten geschaut hatte, mußte aufgeräumt und gesichtet werden. Schließlich wollte man nicht mit dem umziehen, was man eh nie wieder in die Hände nimmt. Und da waren sie, die Überbleibsel einer Zeit, in der man noch Kind war, in der man keine Verantwortung trug, in der alles in Ordnung war. Mit einem Lächeln nahm ich die verbliebenen Kassetten, es waren etwa 7, mit nach oben und hörte eine schon am gleichen Abend. Ein lang vermisstes Gefühl stellte sich schon nach wenigen Minuten ein. Vertrautheit,
  Geborgenheit, Wärme, Dazugehörigkeit. Diese paar Artefakte hatten etwas ausgelöst, was zuvor noch nichts und niemand im Stande war auszulösen. Ich begann, diese paar Schätze vor dem Einschlafen wieder und wieder hinauf und hinunter zu hören. Schon sehr bald aber wuchs die Neugier auf die inzwischen zahlreich erschienenen neuen Folgen ins Unermessliche. Als ich wie zufällig in einem Kaufhaus an einem Regal mit ???- Kassetten vorbei kam, erlag ich meiner Neugier und meiner Sehnsucht, die alten Freunde wieder zu treffen. Ich kaufte 2 Folgen. Wie ich waren meine drei Helden aus Rocky Beach älter geworden, aber ich erkannte sie. Und sie erkannten mich, denn als wenn ich gestern noch Kind war, liessen sie mich an ihren neuen Abenteuern teilhaben. Sie fragten nicht, wieso ich so lange weg war...
Heimlich kaufte ich mir in den folgenden Jahren ab und zu neue Folgen. Ich hörte sie abends über Kopfhörer, oder im Auto. Mein Berufswunsch formte sich daraus langsam, aber sicher: Ich wollte auch Hörspiele sprechen! Ich wollte Synchronsprecherin und Schauspielerin werden.
Aber wie so oft im Leben, kam es erstmal etwas anders. Ich traf den "Traummann" ( ich war jetzt 20 Jahre alt) und heiratete ihn. Übrigens ein "Nicht-Kassetten-Kind". So schraubte ich meinen Berufswunsch und auch mein Hobby fast völlig zurück. Irgendwie gab es kurzzeitig vermeintlich Wichtigeres. Was das Hören meiner Kassetten anging: Es war mir einfach zu peinlich zu sagen: "So Schatz, ich muß aber noch eine ??? Folge hören, sonst bin ich nicht zufrieden". Wenn er aber nicht da war, oder ich allein unterwegs, dann schob sich wie von selber eine Kassette in den Player und alle Lasten des oft so stressigen Alltages waren für kurze Zeit vergessen.
5 Jahre verdrängte ich meine Wünsche und Träume nach Hörspielen und nach dem Sprechen. Natürlich hörte ich heimlich weiter und natürlich erkannte ich die Sprecher, die mittlerweile auch bekannte Synchronsprecher waren, in ihrenTv-Sprech-Rollen immer und überall.
Und dann kam das, was ich wohl heute als schicksalshaft bezeichne. Mein Mann und ich trennten uns. Ich war frei. Frei und allein, verletzt und am Boden. Daran hatte ich wirklich hart zu knabbern. Ich zog wieder zu meiner Mutter, die mich aber auch nicht so recht aufrichten konnte. Aber sie kannte mich. Und das nur allzu gut. Eines Tages (mittlerweile war ich ja schon 26!) kam sie vom Einkaufen zurück und legte mir etwas auf den Tisch: ein kleines schwarzes Paket. Ein Dreierpack Kassetten. Die 100.
 Folge der ??? ! Sie sah mich an und sagte: "Deine drei Detektive haben Jubiläum! Ein Grund, mal nachzudenken, oder?" Ich ging in mein Zimmer, legte zum ersten Mal nach einiger Zeit wieder eine dieser kleinen schwarzen Kassetten ein und hörte diese besondere Folge. Da war es wieder, das Gefühl, dass da etwas ist, was ich mit Geborgenheit und Ruhe, mit Sicherheit und Kraft verband. Die drei ??? hatten es geschafft die Zeiten zu überstehen, gute, aber auch schlechte, dann konnte ich es doch auch, oder?
Ich arbeitete mich emotional und sozial langsam wieder nach oben. Ich lebte wieder und mein Wunsch zu sprechen und zu schauspielern wurde immer stärker. Aber wo war der Einstieg, der Anfang? Ich wandte mich an die Firma die "meine" Hörspiele vertrieb (BMG). Hier fragte ich nach, wie man es am besten anfängt Synchronsprecher zu werden. Man half mir dort enorm weiter und der Weg war auf einmal klar, wenn auch nicht einfach. Ich begann eine Schauspiel- und
  Sprechausbildung und trat mit einigen Menschen der Synchronbranche in Kontakt. Dabei empfahl man mir, mich mit einem Fachmann der Branche in Verbindung zu setzten. Der Aufforderung kam ich nur zu gerne nach, denn es fiel ein Name, der mir ein breites Lächeln entlockte. Seit mehr als 23 Jahren kenne ich seine Stimme, woher, brauche ich wohl nicht sagen, oder?
Und dass ist vorläufig das Ende meiner Geschichte.
Synchronsprecherin bin ich leider noch nicht, arbeite aber mit der Stimme (als Telefonakquise, als Sängerin in einer Band und auf kleinen Veranstaltungen als Sprecherin). Und ich bin nach wie vor ein Kind. Ein Kassettenkind. Da ich jetzt ganz alleine lebe und auch manchmal Angst vor dem habe, was das unberechenbare Leben noch so bereit hält, greife ich wie früher fast jeden Abend und auf jeder längeren Autofahrt in meine große Hörspielsammlung und lausche den beruhigenden, vertrauten Stimmen meiner vergangenen Kindertage. Aber auch manchmal den weniger vertrauten Stimmen, denn zu meinen Lieblingen von damals gesellte sich mittlerweile eine weitere Hörspielserie: John Sinclair... Man entwickelt sich ja auch weiter...
Ich bin eines von vielen vielen Kassettenkindern. Und so wie ich verknüpfen wahrscheinlich alle etwas ganz besonderes mit diesen herrlich unbeschwerten Zeiten des Kassettenhörens. Die einen hat es sehr sehr stark geprägt, den anderen hat es geholfen, eine Spur leichter erwachsen zu werden und wiederum andren ist es einfach nur eine schöne Erinnerung, die sie mit vielen teilen können.

Stephanie

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